Inna Artemova

Geboren 1972 in Moskau. „Wenn ich durch eine Stadt gehe, ist es eine Zeitreise für mich. Ich sehe die verschiedenen Gebäude, die Spuren von verschiedenen Zeiten, die sich an einem Ort benden. Ewige Mahnmale, Symbole bestimmter Kulturen: Manches fasziniert mich, manches lässt unbeteiligt, manches schmerzt. Woher kommen diese Assotiationen? Haben alle Menschen die gleichen Erinnerungen und Eindrücke? Ich probiere es herauszu- nden, die tief versteckten ersten Erfahrungen in meinem durch die sozialistische Erziehung geprägten Wertesystem zu ertasten. Ich vergleiche sie mit meiner heutigen Position. Zeit ist vergangen. Die Verhältnisse haben sich geändert. Was früher verhasst war, weil es die sozialistische Ideologie symbolisierte, betrachte ich heute mit Abstand. Die alten Gebäude benden sich in schlechtem Zustand, sind kaputt und verlassen oder werden anders genutzt. Sie verkörpern den Niedergang. Ich betrachte diese stummen Zeitzeugnisse, zerstörte Ideale meiner Eltern. Die Bilder von so oft gesehenen alten Fotos, die einzigen echten Zeitzeugen, auf die ich mich verlassen kann, tauchen vor meinen Augen auf. Da lachen die Mädchen nach dem Schulschluss, da wird ein neues Kleid gekauft, und hier fährt die ganze Familie in die Ferien. Die Menschen auf den Fotos sind unbeschwert und gehen ihrem Leben nach. Sie denken nicht darüber nach, dass sie Teil der Geschichte sind und auch sie von der Zeit zerstört werden. Ich setze die zerstörten Gebäude in Kontrast zu den Abbildungen von Menschen, die heute nicht mehr leben.
Aber für mich haben die Wände ihre Stimmen, ihre Gespräche, ihr Lachen gespeichert und wenn ich lange genug vor den Gebäuden stehe, kommt es mir vor, als ob ich die Zeit auösen und dieses Lachen hören kann.“